Ein Abend im Landgasthof

in #deutsch4 years ago (edited)

Leroy und Frauchen hatten in der südfranzösischen Provinz in einem kleinen Kaff mitten in der Gascogne Halt gemacht, um zu übernachten.

Der Bequemlichkeit halber auch gleich ins angeschlossene Restaurant eingelaufen, dessen Zugangszeiten sich auf 19.30 bis 21.15 begrenzten. Wohlgemerkt Zugangszeiten, keine Öffnungszeiten. Es gab und gibt dort offenbar nur einen Durchlauf.

Vor dem Eingang wartet man demütig und andächtig, bis man begrüßt wird und einem ein Tisch zugewiesen. Einfach reinmarschieren und hinhocken läuft nicht.

Der Tisch ist schön eingedeckt, weiße Tischdecken, glänzendes, schweres Geschirr, mehrere Gläser, Blumen, Brot.

Zur Begrüßung und Präsentation der Karte kommt der Chefkellner, der selbstverständlich nur schwarz-weiß trägt. Die Karte wird zunächst der Dame und dann dem Herrn gereicht und nach einem Aperitif gefragt. Der Mann hat noch nicht ausgesprochen und Leroys Frau hat bereits Schampus bestellt.

Es gibt auch keine Karte im eigentlichen Sinne, sondern nur drei Menüs zu Preisen zwischen 25 und 35 Euro, bestehend aus drei Gängen jeweils - Vorspeise, Hauptspeise, Nachspeise. Wahlweise und je nach Menü noch stets zu erweitern um einen Teller Austern. Selbstverständlich hat Leroys Frau auch hier gleich zugeschlagen.

Da ist man übrigens genau richtig, denn nur so ist garantiert, dass sich die Küche nicht in 100 Gerichten aus Tiefkühltruhe und sonstigem Convenience-Scheißdreck in der Fritte verzetteln kann. Es gibt eben nur 9 Sachen jeden Tag und die sind dafür frisch und von erster Qualität hausgemacht. Anders ist es auch gar nicht möglich.

Bei der Weinkarte ist Leroy fast in Ohnmacht gefallen. Ca. 160 Positionen. Wir wollten es lokal, also passend zu den bestialischen Temperaturen einen örtlichen frischen Rosé gewählt. Man kann ja stets noch nach oben skalieren bei Bedarf.

Die Suppe wird selbstverständlich nicht im Teller gebracht, sondern der Teller ist leer und dazu wird eine ganze Suppenschüssel, selbstverständlich Keramik mit Schöpflöffel, gebracht, so dass man sich selbst auswählt, wieviel Suppe man essen möchte. Wenn es schmeckt, nimmt man sich eben zweimal.

Falls bei einem Gericht "Frites" als Beilage dabei sind - was stets eine Überraschung ist, da es sich im Menü von selbst versteht, dass es eine passende Beilage gibt, diese aber nie erwähnt wird, sondern stets nur das Fleisch bzw. der Fisch - so kann man a) sicher gehen, dass sie in knackfrischem ÖL und nicht Fett frittiert werden und b) sicher sein, dass sie aus frischen Kartoffeln sind und keine gepressten TK-Kartoffelmehl-Stangen.

Die Salatbeilage bzw. der extra gereichte Salat besteht aus mehreren grünen Salatsorten, ist sehr dezent nur mit Öl und einem Hauch Essig und Senf gewürzt und es versteht sich von selbst, dass der Plastikmüll genannt Eisberg undenkbar ist.

Bei Fleischbestellungen muss man etwas aufpassen, denn wenn der Franzose "medium" sagt, meint er "rare". Wenn Ihr also keinen komplett blutigen Lappen wollt, müsst Ihr Medium plus oder so sagen, dann kommt Medium-rare, was perfekt sein dürfte. Wer deutsches Medium will, muss vermutlich "well done" sagen - haben wir nicht probiert!

Als Dessert gab es einen Coup Colonel, was ich natürlich nachschlagen musste. Selbstgemachtes Limetten-Sorbet in Vodka serviert. Leroys Frau hatte irgendeine Apfeltarte und hat fast geschrien vor Begeisterung.

Am Schluss noch ein Kaffee auf Eiswürfeln.

Zwischen den Gängen war ausreichend Zeit, der Laden voll, die Atmosphäre gediegen, aber entspannt und ausgelassen.

Selbstverständlich und Gott sei Dank lief kein Gedudel aus Radio oder sonstigen Konserven, man hörte nur leises Gequatsche, Lachen, Klappern des Geschirrs und der Gläser.

Nach vier Stunden haben wir den Laden glücklich, satt und extremst zufrieden nach einem herrlichen Abend verlassen und sind ins Bett gefallen.

Hat alles zusammen nur 90 Euro gekostet.

Wer wissen möchte, wie es im Berliner Pendant zum französischen Landgasthof - der Currybude - so zugeht, der möchte bitte dringendst hier nachlesen. Danach weiß man den Unterschied!

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müsst Ihr Medium plus oder so sagen

Da man das in allen wichtigen Sprachen praktisch singen können muss, erlaube mir diese Anmerkung:

"bleu" = roh;
"saignant" = innen blutig, aussen gräulich;
"à point" = "auf den Punkt", innen rosa-saftig, aussen braun. Auch "anglais";
"demi-anglais" = halb durch;
"bien cuit" = Durch. Schnitzel ("escalope") wär' billiger gewesen.

Im Vergleich zum englischen Sprachgebrauch ist "à point" / "anglais" am ehesten mit "medium rare" zu vergleichen. Die meisten Deutschen verstehen unter "medium" aber "medium well" und sollten deshalb lieber "demi-anglais" bestellen.

Apfeltarte und hat fast geschrien vor Begeisterung

War wohl einfach "tarte tatin". Dass der Kuchen so genial schmeckt, liegt daran, dass die Kruste nicht nach deutscher Art durch Verbrennen der oberen Schicht erzeugt wird. Die Tarte wird vielmehr mit den Äpfeln am Boden einer Form (oft Gusseisen) gebacken. Der Formboden wird mit Salzbutter eingerieben (Geheimnis Nr. 2) und grosszügig gezuckert, was dann so richtig schön karamellisiert.

Es ist schade, dass die meisten Leute nur via Städtetrip nach Paris o.ä. mit "französischem Essen" in Berührung kommen. Dort wird man oft nur ganz böse abgezockt, fährt dann heim und denkt, was wohl sooo doll an diesem französischen Dreck gewesen sein soll... Bei den Landgasthöfen ist die Welt aber überwiegend noch in Ordnung, aber dazu muss man von der Autobahn runter, was dem typischen Deutschen sehr, sehr schwer fällt.

Es gibt zwei Arten von Restaurants, die richtig gut sind. Die erste Variante ist seit vor der Revolution in Familienbesitz und dort wird gekocht wie von Opa und Oma überliefert. Die zweite Art sind junge, ambitionierte Köche, die einen herutergewirtschafteten Laden spottbillig kaufen und durch vorzüglichste Küche langsam eine erstklassige Reputation aufbauen, die sie sich nach einigen Jahren per Verkauf vergolden lassen.

Berliner Pendant zum französischen Landgasthof - Currybude

Für mich ehrlich gesagt das größte Manko am Essen in Frankreich: Wenn man mal nur einen kleinen Hunger hat, ist es ziemlich schwer, eine schmackhafte Kleinigkeit zu finden, die nicht international-industrieller Dreck ist. Die diversen "casse-croûte" von früher sind praktisch verschwunden. Wenn man heute danach fragt, gibt es bestenfalls noch ein Stück Baguette mit einer Scheibe Kochschinken drauf, wenn man nicht gleich mit Unverständnis angeguckt wird.

F.ck, jetzt ist mein Gesülze richtig lang geworden und ich kriege Hunger. Und tschüs...

Da bist du mit 90 Ocken aber noch glimpflich davon gekommen. Wenn ich mit der Frau alleine losziehen wird es sogar teurer als mit der ganzen Familie. 150 sind da keine Seltenheit.

"Machen wir ja nicht jeden Tag." ist das Argument der Frau. Zum Glück, sonst wäre ich schon pleite.

90 Euro ist geschenkt! Den Spruch kenne ich auch von meiner Frau. Ist genau derselbe!

Ja kommt auf das selbe raus

Nee, habe mich falsch ausgedrückt. 90 Euro ist tatsächlich geschenkt!
Den Spruch, den meine Frau bringt, ist derselbe wie der, den Deine bringt: "Machen wir ja nicht jeden Tag". Also gleich noch zwei Schampus!