Zentralfriedhof Teil 2 - abseits der Prominenz

in Wien2 years ago

Liebe Sterbliche,
wer sich für die vielen Gräber von berühmten Persönlichkeiten (von Beethoven bis Falco) interessiert, dem sei Teil 1 ans Herz gelegt.

Andere sind nicht so berühmt, haben sich aber durchaus ansehnliche Grabmale geleistet.
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Meistens sind Figuren aus weißem Marmor dabei, die kitschig bis protzig wirken, andere schaffen es irgendwie mehr, einen zu berühren (ich kann nur von mir reden).
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Selten gab es alte Grabmale, die ästhetisch aus der Reihe tanzten, wie z.B. dieses mit zwei Zwergen, die mit grimmingen Blick eine Tür bewachen.
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Mich interessieren aber noch mehr die Orte im Zentralfriedhof, wo keine Touristen hinkommen, zum Beispiel der Waldfriedhof.
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Was eine Naturbestattung ist und was dabei zu beachten ist, hatte ich ja schon hier berichtet. Die Kurzversion: Hier kann man seine sterblichen Überreste (eingeäschert und in einer biologisch abbaubaren Urne) am Fuß eines Baumes begraben lassen, ohne Grabstein oder sonstige Artefakte. Grabschmuck (Bilder, Blumen, Gedenksteine, etc.) sind im Waldfriedhof nicht erlaubt, Kerzen sowieso nicht. Solche Gegenstände werden regelmässig vom Friedhofspersonal entfernt. Ich wusste nicht, dass es hier auch einen gibt. Er ist immerhin ca. 2,5 Hektar groß. Aber wenn schon Naturbestattung, dann würde ich einen richtigen Wald bevorzugen und nicht einen abgegrenzten Bereich inmitten eines "normalen" Friedhofs. Erstaunlich ist es aber schon, wenn man anstatt Reihengräbern plötzlich in einem Stück Wald steht, in dem nur einzelne abgelegte Blumen oder Kerzen an einen Friedhof erinnern!
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Allgegenwärtig hier ist die Eibe (Taxus baccata).
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Die Eibe ist der Friedhofsbaum schlechthin, und bei den Kelten galt er als magischer Baum. Sie hielten ihn für das langlebigste Geschöpf auf Erden und tatsächlich können Eiben weit über 2000 Jahre alt werden. Das keltische Wort für Eibe, "ivo" könnte einen Zusammenhang mit "ewig" haben bzw. unser "ewig" davon abstammen. Ein alter bretonischer Glaube besagt, dass ihre Wurzeln bis in die Münder der Toten wachsen (Quelle). Achtung: Alle Pflanzenteile sind stark giftig, bis auf die auffallend roten Samenmantel!

Am bedrückendsten fand ich den seit 2001 bestehenden "Babyfriedhof"
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Hier werden "stillgeborene" Kinder beigesetzt, damit Eltern eine Möglichkeit haben, um diese Kinder zu trauern, denen kein Leben vergönnt war. Stillgeborene Kinder oder Sternenkinder, oder auch Engelskinder oder Schmetterlingskinder genannt, sind Kinder, die während oder kurz nach der Geburt sterben.

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Ein besonders schöner Ort dagegen ist der Park der Ruhe und Kraft. Er ist nach Prinzipien der Geomantie angelegt worden und die Besucher können Kontakt mit den "Kräften der Natur, der Pflanzen, der Steine und der Erde" aufnehmen. Ich gestehe, mir ist kein solcher Kontakt gelungen, es war einfach nur extrem heiß.
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Der Steinkreis rund um einen Feldahorn besteht aus 12 Granitfindlingen aus Schrems im Waldviertel.

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Ein Brunnen inmitten eines Carrés aus vier Bäumen, in dem Wasser durch drei Schalen fliesst.
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Die Schalen sind so geformt, dass das Wasser in Form einer Lemniskate, einer liegenden Acht fliesst - ein Symbol für die Unendlichkeit.
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Eine Nebelkrähe (Corvus cornix) hat sich auf den Brunnen gesetzt, um etwas zu fressen, das sie gefunden hatte.
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Während weite Teiles des Friedhofs annährend so aussehen...
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...gibt es auch Bereiche, in die sich heute kaum jemand verirrt,
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und wo sich die Natur ihren Raum zurückerobert.
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Hier hat sich zum Beispiel die Lampionblume (Physalis alkekengi) breitgemacht.
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Dieser Teil des Zentralfriedhofs nennt sich "alter jüdischer Friedhof" und er wirkt vollkommen verlassen und aufgegeben. Obwohl Tag war und die Sonne schien, wirkte das Areal auf seltsame Art unheimlich. Ich werde an einem nebligen Tag im November nocheinmal vorbeikommen, dann werden die Fotos sicher noch viel eindrucksvoller!
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Wie kein anderer Anblick, schien mir dieser in 2 Teile zerbrochene Grabstein ein Symbol zu sein für die Vergänglichkeit des Seins. Wann werden unsere Grabsteine umfallen und zerbrechen? Wann wird sich niemand mehr an uns erinnern?

Zurück in die Zivilisation, sonst werden wir noch schwermütig! Das Bestattungsmuseum im Zentralfriedhof (bei Tor 2) hält allerlei Kuriositäten bereit, wie z.B. diesen sogenannten "Sitzsarg" für Menschen, die nicht liegend bestattet werden wollen.
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Tatsächlich ist es aber eine Kunstinstallation von Wittigo Keller (Designer, Kulturanthropologe und der Museumsleiter). Beisetzungen in Sitzsärgen haben (in Österreich) nie stattgefunden.

Auch der Museumsshop (Onlineversion hier) hat es in sich, von LEGO-Modellen (Trauerfamilie, diverse Leichenwägen- und Kutschen), T-Shirts mit genialen Sprüchen ("Ich lese bis ich verwese", "ich turne bis zur Urne"), bis zu einem USB-Stick (als formschöner Mini-Holzsarg, für das "Datengrab") gibt es alles zu erwerben, was makaber ist.

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Das Highlight meines Besuchs war eindeutig, dass ich (im alten jüdischen Friedhof, wo sonst) ein Reh (Capreolus capreolus) gesehen habe!
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Völlig ungeniert hat der Rehbock meinen Weg gekreuzt, ist kurz stehengeblieben, hat mich beobachtet und ist dann weitermarschiert, vermutlich auf der Suche nach frischem pflanzlichen Grabschmuck.
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Es gäbe noch so viel mehr zu sehen, zu dem ich bei meinem Besuch gar nicht gekommen bin, z.B. die Friedhöfe von anderen Religionen (den mormonischen, buddhistischen, etc.), die "Anatomiegräber" (bis jetzt 13000!) oder die Gräber der Opfer des 2.Weltkriegs. Ein Besuch des Zentralfriedhofs sollte in jede Wienreise eingeplant werden.

All pics by @stayoutoftherz

Posts zum Thema:
Im Wiener Zentralfriedhof - Teil 1
Der Wald der Ewigkeit

Sort:  

Der Kinderfriedhof – ein Platz, an dem wohl bei keinem Passanten die Netzhaut trocken bleibt.
Mich verwundern die „aufgegebenen“ Gräber. Normalerweise nutzen doch die Städte und Gemeinden ihre Friedhöfe als Gelddruckmaschine. In meiner Gemeinde gilt die Regel, dass nach 20 Jahren das Grab erneut gepachtet werden muss oder es wird eingeebnet und umgehend verschachert.
Der Sitzsarg regt die Fantasie zu Höchstleistungen an. Hätte ich meinen Körper nicht der Uni-Klinik vermacht, so würde ich auf eine Bestattung im Handstand pochen.
Das Rotwild weiß mit Sicherheit, dass alle Jäger, die sich auf dem Zentralfriedhof einfinden, unter Garantie unbewaffnet sind. Somit ein exzellentes Zuhause.
Es lebe der Zentralfriedhof ... mit allen seinen Rehen.

Glaube nicht, dass die Gräber “aufgegeben” wurden.
Juden betreiben normalerweise keine Grabpflege. Deshalb sind die jüdischen Friedhöfe immer am schönsten.

In Polen haben wir an allerheiligen einen verlassenen jüdischen Friedhof abseits der Straße besucht.

Er machte schon den Eindruck, dass er aufgegeben wurde. Wir haben ein Grablicht am Eingang aufgestellt, das weithin nach Sonnenuntergang auch aus der Ferne zu sehen war um an all die Seelen die dort und andernorts liegen zu erinnern.

Ich werde vielleicht dazu auch noch einmal einen Beitrag machen. Wollte es schon letztes Jahr nach der Rückkehr machen.

Das schöne ist, dass hier der Tod im Einklang mit der Natur steht - kein Prunk, kein Protz.

Schlicht und einfach - wie das Leben.

Ich besuchte schon den einen oder anderen jüdischen Friedhof. Aber dort bestand noch immer die Möglichkeit, den oder die Steine des Andenkens abzulegen. Ein solcher Zustand wie hier ist mir tatsächlich noch nicht untergekommen. Vor dem Betreten bitte eine Stolperversicherung abschließen!

Vor dem Betreten bitte eine Stolperversicherung abschließen!

Die Friedhofsverwaltung sorgt nur für ausreichend Nachschub an neuer Kundschaft.

Es ist Wochenende.
Lasst uns gemütlich mit dem Bruder Sarkasmus einen Spaziergang durch Landshut genießen! 😊
Da du mir großzügig das Feld zur Interpretation überlässt, gehe ich davon aus, dass zukünftig das Liegenschafts- oder Einwohnermeldeamt für Recht und Ordnung und passenden Termin beim Ableben sorgt. So war es doch auch von Beginn an geplant, dass wir uns im Schoß des Staates wohl und geborgen fühlen. Werden wir allerdings lästig, genügt der Schubser mit den angespannten Oberschenkeln. Ab dem Moment hat es sich "ausgeschoßt". (Die Wortschöpfung reicht zwar an eine Katastrophe heran, muss trotzdem zum Einsatz kommen, das das Schmalspurhirn spontan nicht mehr zur Verfügung stellt.)

Ein an sich trauriges Kapitel im »Leben«, mit so schönen Bildern bestückt und umgarnt mit Worten, denen auch der Humor nicht fehlt, macht deinen Beitrag zu etwas ganz Besonderem.

Mich wundert, dass auf den jüdischen Grabsteinen keine Steine liegen (als Zeichen, dass man da war).

Es war anscheinend keiner dar..

Keine Ahnung, eventuell ist das hier nicht Brauch, oder es kommt keiner mehr her. Woanders im Gelände gibt es einen "neuen jüdischen Friedhof", aber da war ich (noch) nicht.

In Graz gibt es auch so einen alten jüdischen Friedhof, ein eigener Bereich hinter einer Mauer.
Der war auch immer genau so wie deine Bilder! Wobei ich persönlich das schön fand. Der Natur und dem (Un)Kraut ihren Lauf zu lassen. Besser als die üblichen künstlich Blümchen geschönten Grabstätten.
https://steiermark.orf.at/stories/3164614/
Die letzten Jahre wurde er saniert und hat aus meiner Sicht diesen Zauber verloren.

wow. Fantastic. Many graves appear...the vibe is a touch unsettling. Like a horror film, yet I enjoy it. I appreciate your sharing.😊

Gaaanz toll!
Die Statue da im zweiten Bild! Wow, der Schleier! Einmalig! 👌

Die wenig besuchten Ecken mit den schiefen Steinen erinnern mich
an England, wo ich lebe. Die meisten Kirchfriedhöfe sehen so aus!

Ich mag da besonders gern herumspaziern und mir die Daten der
Verstorbenen angucken und mir dann ausmalen wie die wohl aussahen
und was sie getragen habe zu ihrer Zeit.

Meine Schwester ist Gärtnerin und hat eine ganze Zeit auf dem Ohlsdorfer
Friedhof in Hamburg
gearbeitet!
Die hat immer Sarggriffe und sowas mit nach Hause gebracht, Sachen, die
sie irgendwo im Gebüsch gefunden hat!

Warum Leute Kerzen usw. an einem anonymen Grab ablegen müssen ist mir ein Rätsel!
Der letzte Wunsch eines Verstorbenen soll doch respektiert werden, dachte ich.
Aber was mich wirklich stört ist diese ständige Vermüllung überall..

Der Laden ist hinreissend! Da würde ich mir ein paar T-Shirts mitnehmen..
Die Sprüche sind gut! 😄

Super Fotos. Ich weiß nicht, was am besten nach meinem Tod zu tun ist. Begraben oder Brennen? Beide klingt nicht so gut.

The choice of natural burial is the most logical but at the same time spiritual. Because in my country there is an excess of burial, I really wish a gentler method and honoring of the dead would be adopted

👏🏻 Top Beitrag, sehr informativ und mit sehr schönen Aufnahmen. Der Steinkreis mit dem Baum in der Mitte fand ich am besten. Sehr cool!
VG und schönes Wochenende
Thomas

Danke!
Wünsche ich Dir auch!

🙌🏻 Danke!

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Interesting interesting. How big is this place? It looks like a giant one

In total almost 2,5 square kilometers!

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Yay! 🤗
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