Sieben Brüder ohne Vormund - oder - wie der Balkan erneut zum politischen Hotspot wird.

in #deutsch7 years ago (edited)

Pünktlich zum Ende des Jahres 2017, beendete der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien am 31. Dezember seine Arbeit. Und nachdem Ratko Mladić, der "Schlächter von Bosnien", verurteilt wurde und der bosnisch-kroatische Slobodan Praljak sich während seines Prozesses vergiftet hat, ist es leicht zu vermuten, dass in absehbarer Zeit noch kaum etwas so gewichtiges passieren kann. Die Länder des ehemaligen Jugoslawien (sowie Albanien) bleiben aber weiterhin interessant:
Einerseits sieht die EU sie als Expansionsmöglichkeit, andererseits ist es ein zerstrittener Haufen, der jeweils versucht, mit größeren Ländern wie beispielsweise der Türkei und Russland Freundschaften zu schließen.
Man könnte diese Region, die für viele Menschen ein bloßes Überbleibsel eines einst wichtigen Landes ist, als günstiges Urlaubsziel abschreiben, allerdings auf die Gefahr hin, dass wichtige Veränderungen an einem unbemerkt vorbeiziehen. 

Der Grund, aus dem der Balkan wieder so interessant wird, ist, dass er eine Pufferzone zwischen den EU-Mitgliedsstaaten und der Türkei sowie Russland bildet. Jeder versucht, dort Fuß zu fassen und es scheint, als wären weder Volk noch Politik eindeutig auf einer Seite. Die EU lockt mit dem Versprechen, dass eine Mitgliedschaft zu höheren Lebensstandards führt; Russland und die Türkei hingegen nutzen Religion und Kultur, um Teile der Region für sich zu gewinnen. So kommt es zu der Situation, dass in Serbien, wo man von Russland wie von einem Bruder denkt, die Mehrheit der Menschen zwar an einer Zusammenarbeit mit der Eurasischen Wirtschaftsunion interessiert ist, dafür aber den Lebensstandard der EU bevorzugt. Die Politiker spielen ebenfalls ein doppeltes Spiel: die Zusammenarbeit mit der EU ist zwar erwünscht, allerdings nicht auf Kosten einer Freundschaft mit Russland. Ziel dieser Taktik ist wohl, beide Seiten in Schach zu halten. Entweder um fremde Einmischung im Land zu vermeiden, oder aber um sich alle Türen offen zu halten (was unvermeidlich dazu führt, dass man am Ende am Gang bleibt).

Ein überraschender Fall ist Kroatien. Es ist mit seinem Beitritt im Jahr 2013 das neueste EU-Mitglied geworden und zeigt schon 4 Jahre später einen deutlichen Meinungswechsel zum Thema EU. Heute haben weniger Kroaten eine positive Einstellung gegenüber Brüssel als noch zurzeit der Beitrittsverhandlungen. Stattdessen gibt es viel mehr Kroaten, die nun konservative und nationalistische Parteien unterstützen. Das wiederum führt zu dem seltenen Fall, dass die Europäische Union in Sachen Balkan-Rivalitäten den Wortlaut von denjenigen Serben und Bosniaken übernimmt, die Kroatien feindlich gesinnt sind: das Argument gegen diese rechte Wende ist nämlich wie schon oft davor, dass konservative Parteien faschistische Züge annehmen und Einwanderern gegenüber nicht freundlich genug sind und was sonst noch so der Jargon der gängigen Linken zu bieten hat. Und ja: in Kroatien gibt es genug Anhänger der Ustaše (die Bewegung, welche zurzeit der Nazi-Kollaboration in Kroatien regierte). Deren Treffen finden jährlich zum Gedenken gefallener kroatischer Soldaten übrigens im Kärntner Bleiburg statt. Interessant ist aber, dass die genannten Ustaše-Anhänger meinen, sie hätten mehr Freiheiten in Österreich als bei sich in Kroatien.
Mir als Beobachter stellt sich dabei folgende Frage: Wenn Kroatien tatsächlich so neofaschistisch ist, wie viele in der EU das gerne behaupten, wieso hat sie sich dann während der Beitrittsverhandlungen kein bisschen darum geschert und kommt erst jetzt mit ihren "EU-Werten" darauf, dass das problematisch ist.
Kroatiens Präsidentin Grabar-Kitarović bei einem Treffen mit der ebenso von der EU kritisierten polnischen Premierministerin Szydlo.

Ein womöglich noch schwierigerer Fall ist der von Bosnien. Das Land ist, zumindest was den Balkan betrifft, der Inbegriff von Zertrennung. Bosnien hat ein dreiköpfiges Präsidentenamt - ein Vertreter für Kroaten, einer für Bosniaken und einer für Serben. Abgesehen davon, dass das höllisch unpraktisch ist, könnten der serbische und bosnische Präsident sich gegen den kroatischen verbünden, vor allem jetzt wo die Türkei und Russland (die jeweiligen Schutzmächte der Serben und Bosniaken) ihr Verhältnis zueinander normalisiert haben. Das dürfte aber noch diesbezüglich das kleinste Problem sein, denn 2018 stehen Wahlen an und der Verfassungsgerichtshof stellte fest, dass große Teile des Wahlrechts verfassungswidrig und daher nicht anwendbar sind. Eine Änderung dessen scheint nicht in Aussicht zu sein in einem Land mit einem gelähmten, nach Ethnien orientiertem Beamtenapparat. Ob das nun zur Folge haben wird, dass ganz Bosnien die Situation der Stadt Mostar haben wird, wo seit 2008 keine Wahlen mehr abgehalten werden konnten, bleibt offen. Gewiss ist nur, dass eine Nicht-Implementierung der geforderten Reformen ein Ausbleiben der IWF-Kredite nach sich ziehen wird, von denen Bosnien absolut abhängig ist. Doch woher nimmt Bosnien das Geld dann? Vermutlich von den ohnehin schon präsenten Golfstaaten und der Türkei. Und wenn ein europäisches Land nach der Pfeife größenwahnsinniger Kalifen tanzt, dann dürfte das auch entsprechende Folgen für die restliche Region, wenn nicht den Kontinent haben.

Die Hochzeit von Erdogans Tochter im Mai 2016. Unter den Ehrengästen: die Premierminister von Albanien und Pakistan sowie Bakir Izetbegović, der bosniakische unter den drei Präsidenten Bosniens (dritter von rechts, vordere Reihe).

Zur Folge hat all das, dass fremde Staaten, ein bisschen wie vor 100 Jahren schon, den Balkan als einen Austragungsort ihrer Machtspielchen sehen. Doch wie bereits damals, kann das genauso leicht nach hinten losgehen, ehe es jemand richtig merkt.

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Ich war letzten Sommer in Mazedonien, war dort auf einer Hochzeit eingeladen. Der Balkan dürfte wohl noch immer das Pulverfaß Europas bleiben, ich denke, daß es nur eine Frage der Zeit ist, bis dort unten wieder Unruhen ausbrechen. Die Wunden aus der Vergangenheit sind noch lange nicht verheilt, der ungelöste Kosovo-Konflikt, das sukzessive ausbreiten des Islamismus auf dem Balkan, insbesondere in Bosnien, etc.

Auf jeden Fall! Was den Islamismus betrifft, ergibt sich am Balkan die interessante Situation, dass aufgrund des langjährigen Sozialismus sich ein religiöses Machtvakuum ergeben hat, welches den Balkan zur leichten Beute für Islamisten macht.

Hab vor Jahren mal einiges von Alois Irlmeier gelesen... da war die Rede davon, dass es auf dem Balkan losgehen würde... konzentriere mich jedoch immer mehr auf den wichtigsten "Ball" in meiner Hand - und dass ist letzendlich die Familie und die ganz nahe Umgebung... mal schauen wie es sich alles so ausgehen wird. Herzliche Grüße aus dem Siebengebirge

Eine wirklich komische Geschichte mit Irlmaier. Ich hab mir zu ihm etwas angesehen. Erinnert ein wenig an die bulgarische Hellseherin Vanga. Aber dass der dritte Weltkrieg wirklich am Balkan ausgelöst wird, wirkt wie eine sehr gewagte Vermutung finde ich.

Griechenland gehört ja auch schon mit zum Balkan - und wohin es die Türkei so treiben wird bleibt abzuwarten :-) Während all die Figuren auf dem Schachbrett so durch die Gegend gezogen werden mach ich in diesen Tagen die Planung für den Gemüsegarten... und ernte das Wintergemüse ab :-) Et kütt wie et kütt sagen wir hier im Rheinland ;-)

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Danke, ich werde es mir anschauen!