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RE: Ziegen, die über Schafe meckern

in #deutsch5 years ago (edited)

Das ist meine @Chriddi!
Du hattest einfach das Pech der späteren Geburt. Ich habe, von meinem 25. bis zum 28. Lebensjahr einen ausgezeichnet, subversiven Deutschunterricht in einer Gymnasialklasse genossen und tatsächlich aktiv gelernt, in Schriften die Intensionen des Senders zwischen den Zeilen heraus zu arbeiten. Daher bin ich auch schriftlich wesentlich stärker, als in jeder Diskussion. Ich denke halt zu langsam. Ein mündlicher Disput ist so gar nicht mein Ding.

Meine heiß geliebte Lehrerin in der Schule war ein Vollblut der 68-er Bewegung und zusammen gelebt habe ich damals mit einer weiteren Deutschlehrerin der gleichen Schule, die ein wenig später GEW-Karriere gemacht hat. Ich bin deutschverseucht. Nachdem sich in Hessen die politische Lage zuspitzte und reaktionäre Kräfte mittels Verfassungsschutz die links tickende Lehrerschaft zum Abschuss frei gegeben hatte, veränderte sich natürlich auch der Deutschunterricht. Textanalyse war zu gefährlich für das Establishment und die reaktionären Kräfte, die sich in den Landtagen zunehmend durchgesetzt haben, änderten die Lehrpläne. Bissige Textanalyse ist den späteren Schülern leider durch die Lappen gegangen.

Ich kann zu meinem großen Glück selbst kunstvoll versteckte Sender–Intensionen aus nahezu jedem Text klar heraus schnuppern. Als Adressat bin ich für solche Leute die reine Pest.

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Hallo Martin,
ich habe deinen sehr interessanten Kommentar genutzt, um über meinen erlebten Deutschunterricht nachzudenken, der bei mir exakt in der 80er-Dekade stattgefunden hat. Warum ich mich in dieses Fach verliebt habe, vermag ich gar nicht recht festzumachen, an den Kollegen lag es nicht unbedingt.
In der 10. Klasse hatte ich einen sehr guten Lehrer, ich möchte behaupten, bei dem habe ich die Herangehensweise an kritische Texte gelernt. Da gab's allerdings hauptsächlich Brecht, der für junge Leser in meinen Augen eine Überforderung darstellt. Und Dürrenmatt, der hat mir mit seinen Bühnenstücken gut gefallen.
In der Oberstufe dann hatten wir einen wenig enthusiastischen Deutschlehrer, eher der Typ "Lest mal, steht auf dem Lehrplan." Bin mir auch bis heute nicht sicher, ob er selbst alle Werke, die er uns anbot, gelesen hat. Jedoch war er ein Fan der Gruppe 47. Grass wurde sofort meine große Literaturliebe, die mich auch durchs spätere Deutschexamen begleitet hat. Viel Böll. Walser, Bachmann, Frisch. Andersch, Handke und Plenzdorf. Wenn ich bedenke, was ich an moderner und postmoderner Aufarbeitungsliteratur alles gelesen habe, muss das im Zeitraffer geschehen sein, eine intensive Auseinandersetzung mit den Werken ist mir nur stellenweise in Erinnerung. Der ganze Bereich der "Neuen Subjektivität" wurde dann nur noch angerissen.
Doch, es gab auch hitzige Diskussionen über bestimmte Texte und deren Interpretation, aber du hast recht: Durch die spätere Geburt steckten wir da nicht mit Leib und Seele drin - man kann ja maximal nachvollziehen, wenn man die politischen und gesellschaftlichen Geschehnisse nicht selbst erlebt hat.
Ich selbst hatte als kleines Mädchen nur Angst vor den gruseligen Terroristen-Fahndungsfotos auf dem Postamt. Dass diese Personen zumindest durch ihr Ansinnen, nicht unbedingt die Taten, auch Helden einer großen, rebellierenden Bewegung darstellten, wurde mir erst weit nach dem Abitur klar - in der Schule wurde es totgeschwiegen.
Uups, so viel zu meinem kleinen historischen Exkurs... Was ich eigentlich damit sagen wollte: Einblicke ins kritische Analysieren zwischen den Zeilen habe ich auch ein wenig und ich mag die Pest!
Schönes Wochenende,
LG, Chriddi

Das hast du mal wieder schön geschrieben,, Christiane. Danke dafür. Warum hast du es nicht als Artikel gepostet? Super Thema, zu dem jeder seine Erfahrungen und Votes beitragen kann. Meine Literatur–Erfahrungen werden dich sicher arg enttäuschen. Trotzdem teile ich dir davon ein Wenig mit. Zur Anerkennung, weil du so ausführlich geschrieben hast, so offen warst.

Bei mir war nur wenig Literatur. Ein bisschen Dürrenmatt, Kafka, Frisch und Böll. Eigentlich bin ich so gut wie unbelesen, habe trotzdem viel gelesen doch alles wieder vergessen. Hesse und Nietzsche wurde zwischendurch rein gepackt und das viel zu früh. Da war ich noch nicht mal Zwanzig. Und viel später, überwiegend im Urlaub habe ich amerikanische Autoren genossen, von denen ich die Namen immer vergesse. Die habe ich immer am Stück gefressen weil sie saugut waren! Dem Hemingway schleifen die Eier auf dem Asphalt. Total ungenießbar. Stephen King ist gut. Trivial, aber immer fesselnd. Außer dieser Turm-Reihe, wo der Cowboy durch die Welten zieht.. Das war total unbrauchbar für mich und wurde weg gelegt.

Die Klassiker sind mir schon beim Anlesen derart auf den Keks gegangen, dass ich nicht einen davon tatsächlich zuende gelesen habe. Du weißt schon, der Fürstengünstling aus Weimar, sein Freuhd und Feind Schiller und so weiter.

Ansich bin ich kein großer Leser und daher auch sicher kein ausgesprochener Literaturliebhaber. Hinter den meisten Werken steckt, ganz schlicht, Mitteilungsdrang einsamer Menschen. Wobei ich selbst keine Ausnahme bin. Tja, und manchmal kommt dabei sogar was ganz Hübsches raus. Du siehst, ich bin für jeden gestandenen Bildungsbürger eine absolut taube Nuss. Du kannst dich mit mir gar nicht richtig über Literatur unterhalten.

Warum hast du es nicht als Artikel gepostet?

Für wen? Ich bin gar nicht so erpicht darauf, meine Erinnerungslücken an die großen Denker der letzten Generation in die Welt zu posaunen. Gleichzeitig habe ich natürlich nichts dagegen, wenn hier der ein oder andere mitliest. Ansonsten ist mir ein kleiner Dialog sehr recht und an dieser Stelle passend - wie auch immer wir darauf gekommen sind.

Du kannst dich mit mir gar nicht richtig über Literatur unterhalten.

Ganz bestimmt kann ich das, aber jetzt belasse ich es mal dabei. Wir müssen hier ja keine Bücher füllen. Stattdessen werde ich mich auf einem anderen Kanal endlich mal an ein paar Zeilen an dich machen, die schon lange überfällig sind, mir aber (von der zeitlichen Abstimmung meiner PC-Aktivität) dieser hervorragende Beitrag "in die Quere" gekommen ist. Das sind sie doch, die Beiträge, die der Steem braucht! Nochmals danke!

Nur noch so viel: Die Klassiker sind nicht zu verachten, Faust I ist der Hammer! Zum zweiten Teil kann ich mich nicht äußern, den habe ich nicht gelesen - meine damalige Sitznachbarin glücklicherweise schon... ;-)

Schönes Wochenende & bis bald,
LG, Chriddi