Gott ist todt! Gott bleibt todt!


Bild von Tageswoche.ch

Aus „Die fröhliche Wissenschaft“ Aph. 125

„Gott ist Tot!“ hörte ich schon auf dem Schulhof. Eine verbale Mutprobe um sich vor Lehrern zu behaupten. Wir wußten es ist provokant, und wir wußten ein gewisser Nietzsche sagte es einmal. In unseren Köpfen machten wir ihn zu einem von uns; cool, frech, antiautoritär, und würde er noch leben, fänd’ er Rap sicherlich genauso cool wie wir. Weiter beschäftigten wir uns nicht mit ihm, denn es gab ja noch Public Enemy. Die waren auch gegen das System und irgendwie cool. Man kann es uns nicht verübeln, da wir ja in dem dichten Nebel der Pubertät kopflos jedem diffusen Lichtschein folgten, der uns vor Augen flackerte.

Obwohl ich immer wieder Passagen aus Nietzsches Werk las, und viel über ihn in Gesprächen erfuhr, ist es erst seit einem Jahr, daß ich sein Werk (langsam) durchnehme. Denn er übt eine gewisse Faszination aus. Dieser „Philosoph mit dem Hammer“ hat eine Tiefe der Kritik erreicht, die mir noch nicht begreifbar ist, aber die gleiche magische Anziehung hat, wie das versengende Licht einer Motte gegenüber.

So mußte ich anderntags an ihn denken, als ich eine Dokumentation über Japan sah, bei der es um die „Tokyo Idols“ ging. Abgesehen von dem für einen Westler seltsamen Verhalten erwachsener Männer gegenüber idealisierten modernen Geishas, horchte ich auf bei einem Kommentar solch eines Fans, der die Verehrung dieser Idols als eine Art Religion ansah. Je nachdem welchem Idol man folgte; man huldigte ihr mit Tanzritualen, Sprüchen, bestimmter Kleidung und einem unterwürfigen fünfzehnsekündigen meet-and-greet, bei dem man auch die Hand seines Idols halten kann. Und natürlich den Unmengen an Geldgeschenken. Ein seltsames Verhalten, welches mir sofort auffiel als Religionsersatz, den ich in vielen anderen Bewegungen auch erkennen kann. Seien es die Klimaapokalyptiker, Genderisten, Veganer, etc.. Alle haben ein Ideal, welchem mit religiösen Eifer gehuldigt wird, inklusive eigenen Symbolen, Gestiken, Kleiderordnungen oder sonstigen Erkennungsmerkmalen. Und alle glauben das Heil und die Rettung der Welt geschehe wenn ihre Forderungen restlos erfüllt würden. Ach, ich vergaß noch die Sozialisten. Gleiches Spiel.

Jedenfalls schoß mir Nietzsche und sein berühmter Spruch durch den Kopf, und ich suchte die Passage. Und sieh’ an; entgegen meinem Glauben er habe sich mit dem Spruch zum Atheismus bekannt, steckt in diesem kurzen Aphorismus eine geradezu prophetische Weitsicht, die alles andere als atheistisch ist. Er sagte nicht nur „Gott ist Tot!“, sondern:

“Gott ist todt! Gott bleibt todt! Und wir haben ihn getödtet! … – wer wischt dies Blut von uns ab? Mit welchem Wasser könnten wir uns reinigen?“

Der tolle Mensch war gar nicht frech, tollkühn und spöttisch, sondern erschüttert über die Menschen, die ihr ehemals größtes Gut so fahrlässig hingerichtet haben!

Nietzsche erlebte den Wandel der Zeiten mit jeder Faser seines Seins. Er sah in dem Christentum ein veraltetes Konstrukt, welches dem Menschen weder diente, noch dem neuen Geist entsprach, und lieferte brennende, relevante Kritik. Eine, die ich insofern teile, als die Kirchen es nicht geschafft haben die Inhalte dem heutigen Menschen, der nun fast fünfhundert Jahre der Aufklärung hinter sich hat, so zu vermitteln, daß der eigene Verstand es prüfend erleben kann. Vielmehr sind diese Institutionen erstarrt und predigen den Glaubensgehorsam von den Kanzeln, und führen damit zur Verödung dieser sonst so wichtigen Stätten. Und damit einhergehend ist auch der Abfall vom Glauben, da es dem modernen Menschen wohl schwerfällt die Bildersprache für bare Münze zu nehmen.

“Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Grüfte und Grabmäler Gottes sind?“

Dem Mitgliederschwund der Kirchen versuchen diese Institutionen mit albernen Discoabenden, oder dem Wedeln der Regenbogenfahne entgegenzuwirken. Womit sie aber nur das genaue Gegenteil bewirken, da die Kirchgänger eben nicht einen sakralen Ort entweiht sehen wollen, sondern eben das Sakrale suchen!

Jedenfalls hat der Mensch Gott getötet, und der tolle Mensch versucht zu begreifen wie es geschehen konnte.

“… aber wie haben wir diess gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was thaten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten?“

In dieser bildergewaltigen Sprache spricht er schon aus worum es geht; wir haben uns des Geistes entledigt, des höheren Verstehens. Das Fundament unseres Seins zerschlagen und ersetzt. Aber mit was?

Nietzsche sah den aufkommenden Materialismus und empfand ihn als schauderhaft. Das alte Christentum lehnte er ab. Mit diesem Konflikt rang er leidenschaftlich und suchte einen Ausweg, den er – so vermute ich – in seinem Zarathustra erarbeitet hatte. Dem selbstgenügsamen, freiheitlichen, vitalen aber auch brutalen Willensmenschen. Ein Mensch der keinen Gott braucht, sondern sein eigener ist. Hier verlaße ich Nietzsche, da mir das Bild dieses seines Idealmenschen zu sehr dem heutigen gleicht, der eben zur Vollendung bringt, was er damals mit dem Mord an Gott began. Er vernichtet sich selbst. Denn ich entdecke diesen Idealmenschen nach Nietzsche in den Vertretern der Transhumanisten einerseits, und den Kultanhängern andererseits.

“Welche Sühnfeiern, welche heiligen Spiele werden wir erfinden müssen? Ist nicht die Größe dieser That zu groß für uns?“

Diese Sühnfeiern und heiligen Spiele entdecke ich bei den obengenannten Genderisten, Antirassisten, Sozialisten, etc.. Sie haben ihren Religionsersatz gewählt. Und wie es scheint kann der Mensch nicht ohne Religion. Wenn er keine hat, so erfindet er eben eine.

„Es gab nie eine größere That, – und wer nur immer nach uns geboren wird, gehört um dieser That willen in eine höhere Geschichte, als alle Geschichte bisher war!“

Diese „größere That“ finde ich bei den Transhumanisten wieder. Menschen, die einen höheren, besseren Menschen erschaffen wollen, und auch nicht vor der gesamten Schöpfung halt machen. Es geht soweit, daß sogar der Tod überwunden werden soll. Man kann sich jedes einzelne Gebiet der Transhumanisten anschauen und mit Leichtigkeit erkennen, daß hier Menschen sich nicht nur ohne Gott begnügen wollen, sondern ihn sogar zu überragen streben. Sie sehnen sich danach in eine höhere Geschichte zu münden. Und das ist der reine Hochmut.

Wie diese unsere Zeit endet weiß ich nicht, sondern glaube nur mit Bestimmtheit, daß der erträumte Idealmensch an sich selbst scheitern wird. Denn es ist schon geradezu infantil wenn das Geschöpf, welches noch nicht einmal im Ansatz die Rätsel allen Daseins gelöst hat, sich in der Lage sieht dieses zu verbessern. Aber auf dem Weg dahin wird viel kaputtgehen. Denn noch ist nicht genug Wasser gefloßen, mit dem wir uns das Blut hätten abwaschen können.

Auf die Frage „Was ist Gott?“ wollte ich jetzt nicht eingehen, denn diese Antwort gibt sich jeder selbst. Doch scheint es mir als hätten wir irgendwann dasjenige geopfert was uns zu dem macht was wir sind, und dann die entstandene Leere ersetzt mit Erfindungen, die nur notdürftiger Verband sind. Wir haben die Glückseligkeit abgeschafft und an ihre Stelle Pillen gegossen, die uns das Gefühl für einige Stunden vorgaukelt. Wir haben uns von unserem eigenen beschränkten Verstand abhängig gemacht. Wir sind wohl schon so lange in unserem eigenen Labyrinth des Intellekts herumgeirrt, das wir sogar vergessen haben wonach wir suchen.

Jedenfalls lief Der tolle Mensch vor 125 Jahren am hellen Vormittage auf den Markt und schrie „Ich suche Gott! Ich suche Gott!“. Aber er wurde verspottet. Er begriff:

“Ich komme zu früh, …, ich bin noch nicht an der Zeit …“

Vielleicht konnten es die Menschen damals noch nicht so klar sehen. Vielleicht tun sie es heute auch noch nicht.

Sort:  

Nietzsche verstehen bedeutet einsam sein zu können. Also ein Psychologisches anstatt einer systematischen Philosophie. Vereinamen kann man ihn gesellschaftlich nicht, nur als vereinzeltes Individuum.

Gott gibt uns 120 Jahre Zeit hier auf dieser Welt etwas aus uns zu machen, somit wartet Gott,... du entscheidest was du draus machst. 😉

Als Zarathustra aber allein war, sprach er also zu seinem Herzen: »Sollte es denn möglich sein! Dieser alte Heilige hat in seinem Walde noch Nichts davon gehört, dass Gott todt ist!«

Nachdem Zarathustra zehn Jahre als Einsiedler in den Bergen verbracht hat, versucht der mittlerweile vierzigjährige Zarathustra, seine Weisheit mit den Menschen zu teilen. Er predigt der Menge auf dem Marktplatz einer Stadt vom Übermenschen, erfährt aber von seinen Zuhörern nur Hohn und Spott. Von nun an meidet Zarathustra Ansammlungen von Menschen und begibt sich auf die Suche nach verwandten Geistern.

Denn ich entdecke diesen Idealmenschen nach Nietzsche in den Vertretern der Transhumanisten einerseits, und den Kultanhängern andererseits.

Die würden sich wünschen Nietzsche ebenfalls missbrauchen zu können.
Das funktioniert jedoch nicht und ich würde es ihnen auch nicht zugestehen.
Selbstentfremdung - Transhumanisten sind doch keine Übermenschen.
Selbstleugnung ist kein Überkommen.
Kann @strohbaron da zustimmen.

Und wie es scheint kann der Mensch nicht ohne Religion. Wenn er keine hat, so erfindet er eben eine.

Mich interessiert es einfach zu sehr, was Nietzsche bezüglich später gefundenen gnostischen Texten gesagt hätte..