English Version below.
Zunächst einmal möchte ich erklären, was es mit diesem Artikel auf sich hat. Die "Politische Amnesie" soll zu einer regelmäßigen Rubrik werden, die ein Mal pro Woche am Wochenende rauskommt. In dieser Rubrik behandle ich Themen, die eine Zeit lang auffallend laut in den (westlichen) Medien behandelt worden sind und danach verdächtigerweise für immer verschwanden. Ein solches Thema ist die Ukrainekrise, die der Gegenstand dieser Debütausgabe ist.
Letzte große Meldungen in den westlichen Medien
Die meisten unter den Lesern werden die letzten medialen Erscheinungen der Ukrainekrise ungefähr so in Erinnerung haben, dass das Minsker Abkommen im Februar 2015 unterschrieben wurde und dass dieses seither für einen halbwegs stabilen Frieden in der Ostukraine sorgt, der ab und zu gebrochen wird. Allerdings befinden sich die Volksrepubliken Donezk und Lugansk, ebenso wie die restliche Ukraine, in einer politisch prekären Lage.
Wie ist momentan die Lage?
Auch wenn es immer noch täglich zu Mörserbeschuss und Scharmützeln an der Front kommt, lebt es sich zumindest in den großen Städten der Ostukraine halbwegs normal. Die Volksrepubliken Donezk und Lugansk sind längst keine bloßen Widerstandsbewegungen mehr, sondern größtenteils autonom existierende Staaten mit eigenen Ministerien, eigenen Heeren und einer eigenen Wirtschaft. Die Haupteinnahmequellen sind die Mettallurgie und die Stromerzeugung [1].
Eine interne Wirtschaftsanalyse der VRD (Volksrepublik Donezk) aus dem Jahr 2015 zeigte, dass selbst in dieser heißen Phase des Krieges einige Wirtschaftsbereiche stark wuchsen, was den Budgetrückgang verkleinerte und die Überlebensfähigkeit der Sezessionisten sicherte [1]. Zur VRL (Volksrepublik Lugansk) gibt es nicht solche detaillierten Informationen und die, die zur Verfügung stehen, sind sehr widersprüchlich. Von ukrainischer Seite berichtet man, dass Lugansk ausschließlich von russischer humanitärer Hilfe am Leben erhalten wird [2], aber interne Meldungen der Separatisten (welche selten in Begleitung von Statistiken erscheinen) besagen, dass sowohl die Wirtschaft, als auch das Durchschnittseinkommen wachsen [3]. Was nun stimmt, können nur die Leute vor Ort wissen. Bei einer Befragung von Studenten in Donezk im November 2017 stellte ein ukrainischer Sender fest, dass das Stipendium etwa 20 bis 30 Euro monatlich beträgt, was, laut Aussagen der Befragten, "gut für Essen reicht, aber mehr nicht". Studentenwohnungen werden dabei kostenlos zur Verfügung gestellt [4].
Trotz des regelmäßigen Beschusses war das Neujahrsfest 2017 in Donezk sehr belebt/Despite regular shelling, New Year's celebrations 2017 were very lively in Donetsk
Was die Ukraine betrifft, so ist die Lage höchst unklar. 2014 und 2015 sah es noch ganz anders aus: Poroschenko wurde der neue Präsident der Ukraine und man setzte viel Hoffnung in die geschäftlichen Kompetenzen des Oligarchen. Heute, ein Jahr vor den Neuwahlen, hat sich die ukrainische Politik regelrecht atomisiert. Mehrere hochrangige Politiker versuchen, nach eigenen Regeln zu spielen und sich Relevanz zu verschaffen. Im Moment versuchen mehrere dieser hochrangiger Politiker und sogar Institutionen, sich gegen Poroschenko zu verschwören. Das beste Beispiel dafür ist Michail Saakaschwili, der georgische Ex-Präsident, welcher in der eigenen Heimat für Machtmissbrauch gesucht wird. Er hat viele ehemalige Maidan-Demonstranten und sogar das "Nationale Antikorruptionsbüro der Ukraine" für seine Sache gewinnen können. Allerdings wurde Saakaschwili nach wiederholten Auseinandersetzungen mit seinem ehemaligen Verbündeten Poroschenko zu Beginn dieser Woche nach Polen deportiert [5; 6].
Die inneren Konflikte in der ukrainischen Politik werden zusätzlich dadurch verstärkt, dass es in jüngerer Vergangenheit eine Reihe von (gelungenen als auch misslungenen) Attentaten gab. Unter den Opfern sind Journalisten und Parlamentsmitglieder [7], aber auch ein Oberst des Geheimdienstes [8].
Wie wird es weitergehen?
Was den bewaffneten Konflikt innerhalb der Ukraine betrifft, muss man sich einer unangenehmen Tatsache bewusst werden: das Minsker Abkommen ist hoffnungslos gescheitert. Die Artillerie wurde beiderseits nicht abgezogen, es kommt nach wie vor zu Schießereien und auch zu Mörserbeschuss. Die gemeinsame staatliche Nachrichtenagentur der VRD und VRL berichtet in ihren Rubriken "DPR Situation Reports" und "LPR Situation Reports" täglich (!) über Verletzungen des Friedensabkommens [9]. Allerdings gibt es womöglich Hoffnung, denn bei einem Staatsbesuch des kasachischen Präsidenten in den USA im Januar schlug Trump vor, die Verhandlungen neu zu eröffnen, mit Kasachstan als Austragungsort [10].
Innenpolitisch dürfte die Lage demnächst sowohl in der Ukraine als auch in den Volksrepubliken angespannt bleiben. 2019 finden erneut Präsidentschaftswahlen in der Ukraine statt und auch die Rebellen-Regierungen befinden sich im Umbruch: in den vergangenen Jahren wurden viele prominente Militärs in Anschlägen ermordet und im November 2017 kam es in der VRL zu einem Militärputsch [4].
Auch Russland versucht sich wieder stärker einzubringen. Boris Gryzlow, der Leiter der Regierungskomission für Kontakt mit der Ukraine, hat offiziell geäußert, dass die russische Regierung im Jahr 2018 versuchen wird, einen Sonderstatus für die Volksrepubliken auszuhandeln, mit dem Ziel, die Unversehrtheit ihrer Autonomie zu garantieren [11].
Die meisten Quellen sind in russischer Sprache verfasst, jedoch werde ich sie trotzdem angeben. Deutsche Quellen sind mit einem * markiert und englische Quellen mit einem Bindestrich.
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First, I would like to explain the following article. "Political Amnesia" will be a weekly column, which will be published once a week, during the weekend. In this column I will report on topics, that once had a noticable presence in the (western) media, but were then suspiciously forgotten about. With the Ukrainian crisis being such a topic, it will be the subject of this debut issue.
The last big reports in the western media
Most people reading this will probably remember reports about the signing of the treaty of Minsk in February 2015 and, that since then, the truce in Eastern Ukraine has been somewhat stable, with the occasional disturbance. However, the People's Republics of Donetsk and Lugansk, as well as the rest of Ukraine, are in a very precarious situation.
What is the current situation like?
Despite the fact, that skirmishes on the frontline and artillery shelling occur on a regular basis, life in the east's major cities seems to be somewhat normal. The time when the People's Republics of Donetsk and Lugansk were mere resistance movements is long gone, and now they are mostly autonomous states that exist with their own ministries, own armies and and own economy. Their main sources of income are metallurgy and the production of electricity [1].
Ein Plakat mit dem ermordeten Kommandaten des Bataillons "Somalia" der VRD-Armee, Michail "Givi" Tolstych/A banner with the assassinated leader of the battalion "Somalia" of the DPR armed forces, Mikhail "Givi" Tolstykh.
An internal analysis of the DPR's (Donetsk People's Republic) economy in the year 2015 revealed, that even in this very active phase of war, some sectors of their economy grew rapidly, which helped reduce budget cuts and secure the survival of the secessionists [1]. Such detailed informations concerning the LPR (Lugansk People's Republic) aren't available, but the ones that are, are very contradictory. Ukrainian media outlets report, that Lugansk would not be able to survive if it wasn't for Russia's humanitarian aid [2], but reports by the rebels (which are rarely published together with statistics) claim, that the economy, as well as median wages, are growing [3]. Whatever the truth is: only the people in those regions can really know. A Ukrainian channel's survey of university students in Donezk in November 2017 found, that monthly scholarships average at about 20 to 30 US $. According to the students, it's "sufficient to buy enough food, but that's about it". However, housing is free of charge for the students [4].
When it comes to "mainland" Ukraine, the situation is rather ambiguous. But in 2014 and 2015, the situation was different: Poroshenko just became president and many people put hope in the entrepreneurial abilities of the oligarch. Today, one year before the next presidential elections, Ukrainian politics are truly atomized. Many high-ranking politicians are trying to go by their own rules and gain relevancy. There are ongoing attempts by those high-ranking officials, as well as major institutions, at a conspiracy against Poroshenko. The best example of this is the Georgian ex-leader Mikhail Saakashvili, who is wanted in his homeland for abuse of power. He gained a lot of support by former Maidan protestors as well as the "National Anti Corruption Bureau of Ukraine" for his cause. However, after several conflicts with his former ally Poroshenko, he was deported from Ukraine at the beginning of the week [5; 6].
The inner political conflicts of Ukraine are intensified by the fact, that there have been many (succesful and unsuccesful) assassinations in the recent past. Among the victims are journalists and MPs [7] as well as a colonel of the military intelligence [8].
What is going to happen next?
Concerning the armed conflict, one has to face an uncomfortable truth: the treaty of Minsk has failed miserably. The artillery hasn't been removed from the frontlines, exchanges of fire occur regularly; the same goes for mortar shelling. The jointly led state news agency of the DPR and LPR reports daily(!) violations of the truce in their columns "DPR Situation Reports" and "LPR Situation Reports" [9]. But there might be hope. When the Kazakh president went on a state visit to the United States in January this year, Trump proposed to reopen negotiations, with Kazakhstan as the new host nation [10].
The interior political situation will remain tense, both in Ukraine and the People's Republics. 2019 will be the year when Ukraine's next presidential election is due and the rebel governments seem to undergo changes as well: in the past few years, many of their prominent military leaders have been assassinated and in November 2017, a military coup ousted the LPR's government [4].
Russia will also attempt to be an active part of current events. Boris Gryzlov, leader of the Russian government's Contact Group for Ukraine, has officially stated, that Russia's goal in 2018 will be to achieve a special status for the two People's Republics, in order to guarantee their inalienable autonomy [11].
Nasarbajew bei seinem Besuch im Weißen Haus diesen Januar/Nazarbayev on his visit at the White House this January.
Most of the sources are written in Russian, but I will list them regardless of that. German sources are marked with a * and English sources are marked with a hyphen.
Quellen/Sources:
[1] Экономика ДНР 2015: https://colonelcassad.livejournal.com/3660904.html
[2] ЛНР: "Путин, спаси!": https://www.dialog.ua/business/141293_1515241221
[3] Экономика ЛНР: https://regnum.ru/news/dossier/4479.html
[4] Донбасс реалии 26.11.2017:
*[5] Berliner Tageszeitung - Saakaschwili nach Polen deportiert: http://www.berlinertageszeitung.de/politik/7220-ukraine-schiebt-georgiens-ex-praesident-saakaschwili-nach-polen-ab.html
[6] Кто планирует заговор против Порошенко: https://vesti-ukr.com/politika/276138-zahovor-protiv-poroshenko-kto-obedinjaetsja-protiv-haranta
[7] Покушения на украинских политиков и журналистов: https://24tv.ua/ru/russkij_sled_7_samyh_gromkih_pokushenij_v_ukraine_za_poslednee_vremja_n881886
-[8] RT on the assassination of a military intelligence colonel: https://www.rt.com/news/394259-kiev-car-explosion-defense-official/
-[9] DONBASS NEWS AGENCY defence reports: https://dninews.com/categories/defence
-[10] Trump proposes new Ukraine talks to Nazarbayev: https://www.unian.info/politics/2354708-kazakh-president-trump-proposes-change-in-venue-for-donbas-talks-media.html
[11] Путин озвучил планы на Украину в 2018 году: http://donbass.ua/news/ukraine/2017/12/28/u-putina-oficialno-ozvuchili-plany-na-ukrainu-v-2018-godu.html
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