Ödnis / Poetisches Fragment

in #deutsch5 years ago

Ich ertrinke in eurer Ödnis. Eure schwarz-weiß-schattierte Welt, die nur so vor Langeweile trieft. Eure Herzen sind leer und eure Gedanken schwer, eure Träume grau und eure Leidenschaft verkümmert. Eure Liebe brennt nur noch für Dinge, für das Haben, nicht mehr für das Sein. Kein Stein, kein Käfer, keine Blume kann euch mehr entzücken, verzücken, verzaubern, entrücken, aufbrechen oder eure Liebe wecken. Und irgendwo in der unendlichen Weite des Universums weint eine Seele, die mit euch verbunden ist, um ihr verlorenes Schicksal, um ihre Leidenschaft, um all die Abenteuer, die sie erleben könnte, wollte und sollte, um all die Gefühle, die wie Farbkleckse das Bild einer Welt voller Wunder und Gefahren zeichnen, Puzzlestück für Puzzlestück, eine Komposition aus Angst und Liebe, aus Leid und Freude.

Die Tränen der Seele verbrennen in den heißen Koronen der Sonnen, die sie umkreisen, tropfen aus leeren, beinahe toten Augen, in denen sich nur noch ein letzter Abglanz der Wunder der Universen spiegelt. Alles, was war, alles, was ist, verflüchtigt sich immer weiter, lässt nur Ödnis, verbranntes Land und pure Langeweile zurück. Eure Langweiligkeit ödet mich an, kotzt mich an, stößt mich ab. Eure Zyklen, die immer gleichen Worte, die immer gleichen Gedanken, die immer gleichen Dinge, alles wiederholt sich in euch unendliche Male, ist nur das tausendste Fraktal aus purer, gähnender Langeweile, eintönig, gleichförmig, monoton und trostlos. Tiefer tauchen, die gleiche Ödnis, höher Schwingen, die gleiche Fadheit. Keine Farben. Kein Leben. Keine Sehnsucht. Keine Liebe.

Das zehnte Mal die gleiche Beziehung. Das hundertste Mal das gleiche Lied. Das tausendste Mal die gleiche Erkenntnis. Das millionste Mal der gleiche Zorn, der gleiche Blick, der gleiche Krieg, der gleiche Ton, das gleiche Wort, der gleiche Fick, der gleiche Streit. Das gleiche graue, einfältige, zusammengefaltete Stück Papier, auf dem nichts anderes als ein schwarzer, reizloser, trauriger Klecks vertrockneter Tinte zu sehen ist: Ein Kontoauszug. Eine Steuererklärung. Eine Bewerbung. Eine Kündigung. Ein Liebesbrief. Ein Abschiedsbrief.

Schreie, um die Stille zu übertönen. Licht, um die Dunkelheit zu vertreiben. Arbeiten, um zu vergessen, woher ihr kommt, wer ihr seid, womit ihr verbunden seid. Spuckt eurem Schicksal ins Gesicht und vergewaltigt eure Seele. Für Geld, Macht, Reichtum, damit das Leid versiegt, damit ihr weiter in Ketten gelegte Sklaven des unendlichen Wachstums sein dürft. Immer weiter, weiter, weiter, rundherum in eurer Zelle, in eurem Käfig, in dem ihr euch gegenseitig einredet, dass ihr niemals fliegen konntet, es nie können werdet, dass die Realität hinter den Gitterstäben zu einer glibbrigen Masse aus purer Angst zerfließen würde, die Freiheit eure Existenz auffressen würde, welche nur noch aus Zahlen besteht: Je mehr Nullen auf dem Konto, desto wertvoller ist euch eure Ödnis. Am Ende ist es doch nur grauer Sand, eine farblose Tristesse, die durch eure eigenen zitternden, greisen Hände rinnt und sich mit den Tränen eurer Seele zu Matsch vermischt.

Wenn alle Tränen eurer Seele geweint und verdampft sind, all ihre Hoffnung endlich aufgegeben wurde und sie sich mit eurer Ödnis abgefunden hat, das Glitzern der Sterne am Firmament und auch in ihren Augen verloschen ist, dann könnt ihr endlich sterben. Dann hat die Ödnis endlich ein Ende und ihr werdet erkennen, was Farben sind, was eintauchen wirklich bedeutet und vielleicht werdet ihr dann euer Schicksal erfüllen.


Bei diesem Text handelt sich um einen Repost aus meinem eigenen Blog: https://morphoblog.de/oednis/
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